Die Theaterfahrt der zehnten Klassen der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf ging dieses Jahr in das niederbayerische Landestheater nach Straubing. Gespielt wurde Bertolt Brechts: „Das Leben des Galilei“. Dabei sollten sich einige echte Überraschungen ergeben.

Theaterfahrt GallileoGallilei1„Galilei, ich sehe dich auf einer furchtbaren Straße. Das ist eine Nacht des Unglücks“, so empfanden sicherlich auch zahlreiche Schüler, als sie sich gemeinsam mit ihren Deutschlehrern, Herrn Edbauer, Herrn Weck, Frau Kiener und Herrn Schneider aufmachten, um die Vorstellung „Das Leben des Galilei“ im niederbayerischen Landestheater in Straubing zu besuchen.
Nach einer etwa 30-minütigen, gemütlichen Busfahrt, gelangten die Schüler in das neu renovierte Theater am Hagen.
Gleich zu Beginn gab es auch schon die erste Überraschung. Drei der Schauspieler waren kurzfristig erkrankt, konnten so kurzfristig nicht ersetzt werden, sondern mussten innerhalb des Ensembles umbesetzt werden. Theaterfahrt GallileoGallilei2Die Spannung stieg, wie denn die Schauspieler diese Probleme bei diesem Stück, welches eh schon zahlreiche Rollen beinhaltet, lösen würden. Man muss neidlos anerkennen. Sie haben es hervorragend gelöst.
Das im Jahr 1956 in seiner heutigen Fassung erschienene Drama gilt als Höhepunkt des politischen Lehrtheaters von Bertolt Brecht. Er arbeitete über zwanzig Jahre daran. Das Theaterstück hat nach seiner Uraufführung die Entwicklung des deutschen Dramas nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend geprägt und zählt auch heute noch zu den am meisten aufgeführten Theaterstücken in Deutschland.
Wer aber war nun dieser Galilei überhaupt? Historisch gesehen war er ein Revolutionär und gleichzeitig einer der begnadetsten Astronomen seiner Zeit. Im Jahr 1546 in Pisa geboren, dachte er einer Zeit stets weit voraus. Sein heliozentrisches Weltmodell besagte, dass die Planeten um die Sonne kreisen und die Sonne den Mittelpunkt eines Sonnensystems bildete. Galileis Theorie stützte sich auf die Annahmen von Nikolaus Kopernikus, der jedoch seine Thesen niemals wissenschaftlich belegen konnte.
Galilei hingegen, der mittels eines Fernrohres die richtigen Stellen am Himmel beobachtete, konnte diese Theorie dadurch beweisen und somit das herrschende Weltsystem fundamental in Frage stellen.
Die Struktur des Stückes ist vom Dichter äußerst komplex gestaltet worden. Bertolt Brecht teilte das Stück nicht traditionell in „Akte“, sondern in sogenannte „Bilder“ ein. Theaterfahrt GallileoGallilei3Dabei haben die Bilder keinen direkten zeitlichen Anschluss zueinander. Das Schauspiel zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Vielfalt von Handlungsorten aus (Padua, Venedig, Florenz, Rom, Arcetri) und die Handlung umfasst einen Zeitraum von nicht weniger als 28 Jahren. So gewinnt das Stück eher den Charakter einer Chronik und eines historischen Bilderbuches, als das eines Theaterstücks.
Die Wirtschaftsschüler, durch die Deutschlehrer inhaltlich gut vorbereitet und mit dem Inhalt des Dramas vertraut gemacht, waren gespannt, wie das Theater und vor allem der Regisseur Wolfgang Maria Bauer, dieses hoch komplexe Stück effektvoll mit einer doch sehr übersichtlichen Besetzung umsetzten würde.
Theaterfahrt GallileoGallilei4Das Stück im Theater selbst beginnt leise und sanft. Galilei sitzt im Bad rasiert sich, ist jedoch äußerst unzufrieden mit seiner Lebenssituation, die er mit seinem Famulus Andrea Sarti bespricht. Er braucht mehr Geld, will in Zukunft mehr forschen und weniger unterrichten. Die Universität als derzeitiger Arbeitgeber zahlt viel zu wenig. Aber schon dieser Anfang überrascht die Zuschauer. Galilei wird von einer Frau, nämlich Antonia Reidel, gespielt. Das erstaunte und verwirrte die Schüler anfangs etwas, die mit so einer „Umbesetzung“ nicht gerechnet hatten. Durch diesen Trick erweitert der Regisseur allerdings die Perspektive des Stücks um die ganze Geschlechterthematik. Wissenschaft ist heute nicht mehr nur alleine ein Teil der Männerwelt, ganz im Gegenteil, die Frauen sind auch in diesem Bereich verdienterweise schon sehr stark vertreten.
Theaterfahrt GallileoGallilei5Antonia Reidel schafft es als Galilei von Anfang an, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Sie ist in ihrer Rolle äußerst überzeugend und eindrucksvoll. Es gelingt ihr sofort, Sympathie für die Hauptfigur zu erzeugen. Ihr Galileo ist kein verrückter Wissenschaftler, kein Wahnsinniger, nicht wie jene in Dürrenmatts „Physiker“. Nein, diesem Galileo liegt die Wissenschaft wirklich sehr am Herzen und trotz allem ist er stets ein Mensch, der den Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt ist und er bleibt auch bis zum Schluss Mensch, auch wenn seine ganze Umgebung zunehmend apokalyptisch wird.
Eine weitere Überraschung bildet das im Grunde äußerst spartanisch konzipierte Bühnenbild. Es besteht aus Kreisen und Ellipsen die in unterschiedlichen Größen, typisch für die Wissenschaft, mit sich Galilei beschäftigt, auf der Bühne angeordnet sind. Diese Körper verändern sich im Verlauf des Stückes immer wieder und erhalten so auch im Stück verschiedene Funktionen und auch eine neue Bedeutung erhalten. Dies bringt immer wieder Spannung in die Inszenierung. Mal bilden sie zusammen ein Fernrohr, mal eine Kirchenkanzel, mal Räder-Foltergerät und mal das Rad im Getriebe der Zeit. Diesen Bedeutungswandel erkennen auch die Schüler und genießen es, diese Wandlungen im Verlaufe des Stücks immer wieder neu zu entdecken.
Trotz der eindringlichen Warnungen seiner Umgebung geht Galilei an den Hof von Florenz. Dieser Hof bedeutet für ihn eigentlich Gefahr. Zu stark ist dort die Macht der katholischen Kirche, der Herrscher selbst ist auch erst neun Jahre alt. Im Theater stellt die Inszenierung diesen Hof sehr schrill, ja fast schon skurril dar. Der Herrscher, Cosmo de Medici, kurvt wild in einem dreirädrigen Gefährt auf der Bühne herum. Die Stimmung auf der Bühne wird eisig. Im Hintergrund zeigt sich nämlich schon die dunkle, klerikale Macht. Verkörpert wird sie durch uralte, fast schon mumifiziert geschminkte Kardinäle. Sie sind überall auf der Bühne zu erkennen. Es wird ganz deutlich. Sie halten hier ganz klar die Fäden der Geschichte in Händen, nicht der minderjährige Herrscher. Schauspielerisch werden sie steif, alt und unbeugsam dargestellt. Hier an diesem Hof ist kein Platz für neue oder gar revolutionäre Gedanken. Die Theorien der Wissenschaft werden sicherlich hier nicht gehört. Hier gibt es nur verstaubte und schon längst überlebte Traditionen. Der Glaube ist verstrickt in ein starres und überholtes Denken.
Verstärkt wird diese Starr- und Sturheit und noch durch die eindrucksvolle Kostümierung der Schauspieler. Die Kardinäle sind vom Regisseur in plumpe, sackartige Gewänder gehüllt worden. Diese sehen aus wie Leichengewänder, auch darin zeigt sich ganz deutlich die veraltete Ansicht der Kirche. Alles an ihnen ist staubig, verkrustet, so wie auch die blass geschminkten Gesichter der Kardinäle. Selbst die Sprache scheint staubig zu sein. Jetzt wird dem letzten Zuschauer deutlich, hier wird Galilei keine Aufmerksamkeit oder gar Verständnis finden. Den Blick durch das Teleskop verweigern die Vertreter der Kirche. Der Glaube ist wichtiger als die modernen Erkenntnisse der Wissenschaft. Schauspielerisch ist der Monolog des Inquisitionsteufels (Jochen Decker) einer der stärksten Momente in dieser doch sehr kurzweiligen Aufführung. Es gelingt ihm durch sein großes schauspielerisches Können, sehr leicht ein Gruseln unter den Zuschauern zu erzeugen. Nein, diesem Mann möchte man wirklich nicht im Dunklen begegnen.
Der wissenschaftliche Disput zwischen Galilei und der Kirche wird dann auf der Bühne in einer Art Fechtkampf ohne Waffen ausgetragen. Diese Szene wirkt allerdings etwas komisch und platt und passt nicht zu der doch äußerst kreativen Inszenierung. Die Tiefe und Bedeutung dieser inhaltlich zentralen Szene wird somit leider verwässert. Es wirkt alles eher komisch als dramatisch. Im Kampf ist Galilei zwar wendig, trotzdem findet er in der Kirche kein Gehör. Alle Angriffe werden abgewehrt. Etwas anderes war aber auch nicht zu erwarten.
Jetzt tritt die ganze Macht und Gewalt der Kirche zum Vorschein. Die Inquisition kennt keine Gnade. Wer nicht den „rechten“ Glauben vertritt, wird grausam getötet und letztendlich entsorgt. Auch bei diesem Teil gelingt es den Schauspielern bei den Zuschauern Betroffenheit hervorzurufen. Erneut geht ein Gruseln durch die Reihen. Es darf also einfach nicht sein, was eigentlich eh schon ist. Die Macht der Kirche ist ungebrochen. „Neues“ – sie verzichtet darauf – „nein danke“!
Die Stimmung im Theater ist elektrisiert. Unterstützt wird diese Emotionalisierung immer wieder durch den unkonventionellen Einsatz des von Bertold Brecht im Stück vorgesehene Chores. Es ist eigentlich ein aus dem antiken Drama entliehenes Mittel. Der Chor ist vom Regisseur mit anonymen Masken bekleidet worden. Diese Anonymisierung verfremdet und wirft Fragen weitere auf. Die Emotionen der Zuschauer werden auch durch die hervorragende Akkordeonbegleitung (Daniel Zacher) geleitet. Es gelingt ihm immer wieder, den Zuschauer zu packen und durch die verschiedensten Töne, das Schauspiel zu hinterfragen.
Plötzlich schlägt auf der Bühne jedoch wieder das Schicksal zu. Der alte Papst stirbt. Jetzt gibt es vielleicht Hoffnung für die wissenschaftlichen Thesen von Galileo. Er hofft auf das Gehör des neuen Kirchenoberen. Der Nachfolger, Kardinal Barbini, ist Mathematiker und selbst Wissenschaftler. Doch auch ihm wird sofort von der heiligen Inquisition eingetrichtert, dass die Erkenntnisse Galileis die Macht der Kirche beeinträchtigen und das kann nicht sein, nein, das darf einfach nicht sein!
Galilei wird nach Rom beordert, dort zeigt ihm dann die heilige Inquisition ihre berühmten Folterwerkzeuge und die jeweilige Funktion am menschlichen Körper wird vorgeführt. Das gehört zur ersten Stufe des in der Zeit Galilei völlig üblichen und häufig praktizierten Inquisitionsrituals. Wolfgang Maria Bauer, inszeniert diese Szene geschickt, sie wirkt nicht platt oder gar kitschig. Der Zuschauer sieht davon nichts. Alles passiert hinter einem roten Vorhang. Es ist erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln es so gelingt, Emotionen bei den Zuschauern hervorzurufen. Die Vorstellung ist jedoch plastisch. Die Schreie der Gefolterten gehen nicht nur Galilei, sondern auch allen anwesenden Zuschauern durch Mark und Bein. Allen wird deutlich, mit der Macht der Kirche ist wirklich nicht zu spaßen!
Der Wissenschaftler selbst ist verzweifelt und schwört unter dem Eindruck des Gesehenen, seiner Lehre ab. Er darf zwar weiterhin forschen, nichts davon geht jedoch mehr an die Öffentlichkeit. Damit ist Galilei als Forscher in der wissenschaftlichen Welt offiziell diskreditiert. Er hat die Lehre verraten und das nur, weil er einfach Mensch bleiben wollte und geblieben ist.
Aber Galilei gibt nicht auf. Heimlich übergibt er eine Abschrift seiner Erkenntnisse seinem Famulus Andrea Sarti, damit sie dieser in Welt bringen kann. Am Ende des Stücks lässt Bauer eine Sternschnuppe aufleuchten, die hell den Theatersaal erleuchtet. Dieses Symbol soll verdeutlichen, dass sich die Wahrheit auch nicht durch Gewalt verhindern lässt. Am Ende steht die Botschaft Galileis. Er hatte letztendlich doch recht: „Die Erde dreht sich doch“. Das war dann keine Überraschung mehr.
Die Lichter gehen an, der Vorhang schließt sich. Der Applaus beginnt. Die Heimfahrt verläuft dann wesentlich ruhiger als die Hinfahrt.
Auch wenn die Meinungen zum Stück bei den Schülern stark auseinandergingen, blieb zumindest mir oben genanntes Zitat allen im Gedächtnis:

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!