Die Absolventenklassen der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf besuchten das Theaterstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bert Brecht,
das vom Niederbayerischen Landestheater im Fürstbischöflichen Opernhaus Passau auf die Bühne gebracht wurde – als Schulvorstellung, die dieses Mal sogar einige Tage vor der eigentlichen Prämiere stattfand.
Brechts Stück ist eine Parabel auf den Aufstieg Adolf Hitlers in den 20er und 30er Jahren. Zahlreiche Analogien zu historischen Personen und Ereignissen jener Zeit ergeben sich. Der Brecht‘sche „Speicherbrand“ zum Beispiel entspricht dem Reichstagsbrand von 1933, der die Verfolgung politischer Gegner Hitlers einläutete.
In Brechts Originaltext sind auch zahlreiche Anleihen aus der Gangsterwelt Chicagos zu finden, denn der Theaterdichter setzte gern solche Verfremdungseffekte ein. Auch Regisseur und Oberspielleiter Wolfgang Maria Bauer, selbst Autor und Schauspieler, bettete in der Landshuter Inszenierung die Handlung ganz ins Gangstermilieu ein, das sich im Übrigen äußerlich kaum von der einflussreichen Geschäfts- und Adelswelt der Weimarer Republik unterscheiden sollte, von denen einflussreiche Protagonisten nolens volens die Unterstützer und späteren Nutznießer beim Aufstieg Hitlers an die Macht wurden – ein politischer Seitenhieb des Kommunisten und späteren DDR-Bürgers Brecht gegen Kapital und Großgrundbesitz. Direkte Vergleiche – etwa Hitlers mit dem Chicagoer Kriminellen Al Capone, den Brecht in seinem Stück zog – seien dem heutigen Publikum fremd, meint Bauer, ja vielleicht verharmlose ein solcher Vergleich sogar eher. Die Inszenierung verzichtet zudem auf die allzu belehrend anmutenden Plakattexte sowie auf Prolog und Epilog, die typische Merkmale des epischen Theaters sind, wie Brecht es konzipiert und mehrfach realisiert hat. Auch der Text selbst wurde stark gekürzt. Das ist auch gut so. Welchem Theaterpublikum könnte man denn heutigen Tages ein round about Drei-Stunden-Theater noch zumuten?
Die Aufführung arbeitet stattdessen ausgiebig mit Lichteffekten und Song-Einspielungen – mitunter auch konkurrierend zur Textebene, was die Verständlichkeit im Zuschauerraum nicht unbedingt befördert; ein emblematisches Bühnenbild prangt im Zentrum, das die Architektur von Nationalsozialismus – und en passant auch die des Stalinismus – treffend zitiert; vor einem Foto mit Schuhen aus einem KZ spielen die Darsteller „Völkermord“ – der absichtliche Versprecher wird sogleich auf „Völkerball“ korrigiert. Der Zigarrenqualm der Hitler-Gang-Mitglieder um Ernesto Roma (alias Ernst Röhm) verbreitet üble Gerüche im Parkett und in den Rängen – Zigarrenraucher und unangepasst waren, jeder auf seine Art, bekanntlich sowohl Brecht als auch Al Capone. Die im blutbeschmierten Negligé auftretende, geschändete Witwe Bowl schockiert, versinnbildlicht aber natürlich die Unmenschlichkeit im totalitären System. Ein Film-Mitschnitt aus einer Hitlerrede läuft stumm im Hintergrund, während der glänzende Ui-/Hitler-Mime Reinhard Peer eine Stegreif-Rede über seine negativen Erfahrungen beim Car-Leasing hält. Irritierende Masken, ästhetisch ansprechende Kostüme, zahlreiche Sequenzen aus modernen Rock- und Popsongs, etwa die Filmmusik „Twisted Nerve“ oder die Rammstein-Nummer „Ich will“ fanden ebenso Eingang in diese sehenswerte Vorstellung, gelungen nicht zuletzt und besonders auch durch die schauspielerische Leistung des Landestheater-Ensembles.
Wer das Stück kannte, war im Vorteil, wer nicht, erlebte dennoch ein Spektakel für die Sinne und das Intellekt, denn dies Ganze regt zum Weiterdenken an. So kann, so soll Theater sein!
Von Matthias Edbauer, OStR