„Auf die Weihnachtsplätzchen … ja klar, da kamen selbstverständlich die Hakenkreuze drauf …“
Anfang November hatten die 10. Klassen an der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf die Gelegenheit, einem vom Bayerischen Aussteigerprogramm geschützten „Aussteiger“ aus der rechtsradikalen Szene Fragen zum Verhalten und zu den Zielen dieser äußerst abgeschlossenen und gewaltbereiten Gruppierung zu stellen.
Die ganze Schulfamilie war schon im Vorfeld sehr gespannt. An diesem Tag herrschte an der Staatlichen Wirtschaftsschule die höchste Sicherheitsstufe. Mitarbeiter der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus waren im Haus und präsentierten den Schülern der 10. Klassen einen „Aussteiger aus der rechten Szene“. Um dessen Identität zu schützen, wurden den Zuhörern kein Namen bzw. keine persönlichen Daten des Aussteigers genannt. Das betroffene Klassenzimmer, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte, musste verdunkelt werden, und die Schüler mussten alle Handys vorher abgeben.
Die Schüler wurden schon im Vorfeld durch den Organisator und Geschichtslehrer Christoph Schneider über diese erhöhten Sicherheitsbedingungen und über die Gepflogenheiten und Machenschaften der rechten Szene in Bayern unterrichtet. Diese Kenntnisse vertieften die Mitarbeiter der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE), die den Aussteiger in einem besonderen Programm betreuen, in einem dreistündigen Workshop noch weiter. Die Schüler beteiligten sich äußerst rege an diesem Workshop, wann hat man auch echte Mitarbeiter der zentralen Präventionsdienststelle Bayerns im Klassenzimmer …
Die vermittelten Inhalte gingen von den Grundwerten der Deutschen Verfassung bis hin zu detaillierten Insiderkenntnissen über die verschiedenen rechtsradikalen Gruppierungen und ihre Tätigkeiten. Für die Schüler besonders eindrucksvoll war die „Entzauberung von rechten Propagandavideos oder Plakaten“ durch die Geheimdienstprofis. Es war immer wieder erstaunlich, zu erkennen, mit welchen subtilen Methoden die Nazis neue Mitglieder anwerben.
Nach dem Workshop begleiteten Mitarbeiter des Bayerischen Aussteigerprogramms über einen Nebeneingang einen „Aussteiger“ in das Schulzentrum. Die Spannung bei den Teilnehmern war sehr groß. Alle erwarteten einen zwei Meter großen Hünen mit einer Ganzkörpertätowierung und Muskeln aus Stahl.
Die Überraschung war dann bei allen Teilnehmern groß, als eine Dame mittleren Alters den Saal betrat und mit dem Namen „Susi“ vorgestellt wurde. Sie war allen von Anfang an gleich sehr sympathisch. Mit einer fast schon entwaffnenden Ehrlichkeit sprach sie über ihr Leben und ihr Engagement in der rechtsradikalen Szene. Sie referierte über eine problematische Kindheit, von Eltern, die im Grunde kein Interesse an ihr hatten und sich nicht mit den Problemen ihrer Tochter auseinandersetzten. Der Abrutsch in die Szene fing zuerst ganz harmlos an. Man traf sich zwanglos in der Kneipe – sie und eine Gruppe von Männern. Dass es sich dabei um eine rechtsradikale Gruppierung handelte, war ihr nicht gleich klar. Sie war eine der wenigen Frau in der Gruppe, man fühlte sich aufgenommen, akzeptiert. Sah sie den Nationalsozialismus? Ok, es gab Tätowierungen, aber sonst blieb der erst mal draußen. Dann ging man gemeinsam auf Rockkonzerte, der Rock war laut und hart. Die Texte durchdrungen von Hass und Gewalt. Der Nationalsozialismus kam näher. Häufig fuhr man mit den „Kameraden“ auch in das benachbarte Ausland. Dort war die Rechtslage einfacher. Man „durfte dort mehr!“ Noch härtere Gruppen, noch mehr menschenverachtende Texte. So geriet sie langsam in den Sog dieser Gruppe. Freundschaften entstanden. Der Chef der Gruppe wurde zuerst ihr Liebhaber, dann der Vater von drei Kindern. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Man musste ein vollwertiger „Kamerad“ sein. Es gab Treffen, Schlägereien, gemeinsame Abende, Sex und auch die Teilnahme an öffentlichen Demonstrationen, dann wieder Schlägereien und immer wieder auch Konfrontation mit der Polizei. Dann kamen die Waffen und die Pläne eines „Marsches auf Berlin“! Man wollte die Regierung stürzen, deshalb trainierte man in den Wäldern und übte sich in der Handhabung von Waffen. Das Waffenarsenal wechselte ständig seinen Standort. Es waren Kriegswaffen, keine Spielzeuge. Das „Dritte Reich war jetzt immer dabei“. Egal ob auf den Weihnachtsplätzen, den Christbaumkugeln oder auch auf Bildern in der Wohnung. Überall gab es Hakenkreuze und die Geburtstage der grausigen Schergen des Dritten Reichs wurden verehrt und mit Alkohol gefeiert. Eine völlig unverständliche Welt eröffnete sich. Die „Kameradschaft“ organisierte politische und juristische Fortbildungen. Wie verhält man sich bei einer Wohnungsdurchsuchung. Auschwitz und die anderen Konzentrationslager wurden geleugnet. In ihnen hätte es doch überhaupt keine Judenvernichtung gegeben und überall war auch der Alkohol dabei. Bei diesen Worten war es unbeschreiblich still im Raum. Alle Zuhörer waren entsetzt über die Ungeheuerlichkeit dieser Aussagen. Susi schilderte, dass es innerhalb der Gruppe, entgegen den propagierten Regeln, Missgunst und auch gewalttätige Schlägereien gegeben hat, manchmal sogar bis kurz vor dem Tode.
So langsam wuchs in „Susi“ jedoch der Keim des Zweifels. Die immer gleichen Phrasen der Kameradschaft wurden langsam hohl und ihre Inhalte immer leerer. Wie wenn sich ein Nebel langsam lichtet, erkannte sie, dass hier nur Lügen verbreitet wurden und die „Kameraden“ „im Grunde nichts auf die Reihe bekamen“. Zunehmende Probleme bereitet ihr auch der immer intensiver werdende Kontakt mit Polizei und Justiz. Einschneidend war für sie, als die Polizei um vier Uhr am Morgen die Türe eintrat, der Vater vor den Kindern auf dem Bett gefesselt und die ganze Wohnung nach Waffen durchstöbert wurde. Solche Erfahrungen waren es, die bei ihr langsam die Gedanken für einen Ausstieg aus der Szene aufsteigen lassen. Dazu kam, dass die Kinder langsam älter wurden. Ein weiterer Schock für „Susi“ war es dann, als die Kinder statt Strichmännchen zu zeichnen, anfingen, Hakenkreuze zu malen. Jetzt war ihr klar. Jetzt musste etwas passieren. Aber es ist nicht so einfach, einfach aus der Szene auszusteigen und sich vom Vater der Kinder zu trennen. Zwar bekam sie Hilfe vom Bayerischen Aussteigerprogramm. Sie hat zwar inzwischen eine neue Existenz, aber dennoch sind bis heute nicht alle Probleme gelöst. Wie sieht es mit der Arbeit aus? Wie würden die alten „Kameraden“ reagieren, wenn sie sie sehen würden? Trotzdem ist Susi positiv gestimmt. Sie führt jetzt ein ganz anderes Leben als früher und für das Dritte Reich ist dabei kein Platz mehr. Für die Schüler war der Vortrag eine äußerst eindrucksvolle Veranstaltung. Sie stellten zahlreiche durchdachte Fragen und trugen dazu bei, die dunklen Machenschaften der rechten Szene etwas zu erhellen. Einstimmig sagten alle: „Sowas müsste man viel öfters an der Schule machen“.
Von Christoph Schneider, OStR