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Die Klassen 10 A und 10 D im Gespräch mit Abba Naor

 

Abba NaorAbba Naor: ein Leben in der Dunkelheit

Abba Naor wurde am 21. März 1928, als Abba Nauchowicz in Kaunas, der damaligen Hauptstadt Litauens, geboren. Mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion gingen auch in Litauen am 22. Juni 1941 die Lichter aus.  Die Eroberung erfolgte ohne jegliche Kriegserklärung oder andere Vorwarnungen. Für Abba Naor zerbrach mit diesem Datum die Change auf ein unbeschwertes Leben. Er musste seine Heimatstadt verlassen und wurde in das Ghetto in Kaunas inhaftiert. Die Lebensbedingungen dort waren unbeschreiblich. Die SS kannte keine Gnade. Ab 1943 verwandelte die SS das Ghetto in Kaunas in ein Konzentrationslager. Abba Naor war der SS-Einsatzgruppe 3 hilflos ausgeliefert. Gnade oder Erbarmen gab es da nicht. Als die Rote Armee die Wehrmacht langsam wieder zurückdrängte, wurde das Konzentrationslager zwischen dem 7. und dem 12. Juli 1944 aufgelöst. Die noch lebenden jüdischen Häftlinge verlegte man weiter zurück in das Deutsche Reich. Sie kamen in das KZ Stutthof. Die Familie Naor wurde auf Lastkähne verfrachtet und man transportierte sie in das KZ Stutthof. Die Gebäude des Konzentrationslagers in Kaunas brannte die SS einfach nieder und die restlichen Gebäude wurden gesprengt.
Am 13. August 1944 wurde Abba Naor aus dem KZ Stutthof abtransportiert und nach einer tagelangen Reise durch das Deutsche Reich in ein Außenlager von Dachau, nach Utting am Ammersee, verbracht. Es gehörte zum Lagerkomplex Kaufering. Insgesamt bestand dieser Komplex aus elf Lagern.
Am 24. April 1945 musste das Lager wegen der immer näher kommenden US-Armee geräumt werden. Die Häftlinge wurden auf einen Todesmarsch geschickt. Wer zusammenbrach und nicht mehr weiterkonnte, wurde von den SS-Bewachern erschossen. Am 2. Mai befreiten die Amerikaner bei Waakirchen die wenigen noch lebenden Häftlinge. Der Alptraum war zu Ende.

Drei unvergessliche Stunden

Was fragt man jetzt so einen ehemaligen KZ-Häftling alles? Darf man ihn überhaupt etwas fragen? Ist das nicht sehr problematisch, tritt man da einem Menschen nicht mitten in das Herz? Reißt man da nicht alte Wunden wieder und immer wieder auf?

Schon im Rahmen der Vorbesprechung stellten die Schüler zahlreiche Fragen, wie sie denn mit Abba Naor umgehen sollten. Einem Menschen, der als Jugendlicher schon durch die KZ-Hölle gegangen ist, hunderte von Menschen hat sterben sehen und große Teile seiner Familie durch die Shoah verloren hat. Kann man überhaupt mit so einem Menschen noch unbeschwert umgehen? Geht das?

Viele Schüler hatten Angst, dass sie Abba Naor durch ihre Fragen vielleicht kränken oder während des Gesprächs gar in eine psychische Ausnahmesituation bringen würden. Die Realität war dann so ganz anders. Abba Naor ist ein freundlicher, älterer Herr, der ganz ruhig und sachlich nach einer kurzen persönlichen Vorstellung über sein jetziges Leben in Israel berichtet und auch Bilder von seinen Enkeln zeigt. Man spürt keinen Hass oder gar Vorwürfe gegen die Deutschen. Nach dieser sehr persönlichen Einführung beschreibt er chronologisch den Ablauf seiner Biographie. Er beginnt mit der glücklichen Kindheit in Kaunas und endet mit der Schilderung des Leidens und Sterbens seiner Familie im KZ Auschwitz. Der Vortrag ist durch die Mitarbeiter der Gedenkstätte historisch sauber aufgearbeitet und stellt vor allem die durch den Einmarsch der Wehrmacht entstandenen Veränderungen in Kaunas sehr plastisch dar. Er wird unterstützt durch einige erschreckende Bilder, die die von der SS in Litauen verübten Gräueltaten dokumentieren. Manchmal, besonders wenn er von seinem kleinen Bruder erzählt, merkt man Abba Naor jedoch an, dass ihm dieses Erzählen sehr schwerfällt, ihn zunehmend belastet. Dass diese Erinnerungen schwer in ihm lasten und auch im Laufe der Jahre nicht leichter geworden sind. Es gibt in ihm keine Aufarbeitung. Es darf auch kein Vergessen geben. Jedes Detail muss erhalten bleiben. Das zermürbt.
Ich kenne Abba Naor jetzt schon einige Jahre und habe seinen Vortrag auch schon mehrmals hören dürfen. Hat er sich als Person, als Zeitzeuge in den letzten Jahren verändert? Ja, das hat er, man sieht es ihm beim Vortrag deutlich an, dass ihn die Erinnerung anstrengt und jedes Mal sehr mitnimmt. Trotzdem können die Schüler ihn über alle Themen, die sie interessieren, befragen. Die Fragen sind vorbereitet und historisch relevant. Wie regierten die Einwohner Kaunas nach dem Einmarsch durch die Wehrmacht oder wie muss man sich das Leben in einem Konzentrationslager vorstellen? Abba Naor antwortet stets ruhig, manchmal wird er jedoch etwas zynisch, was dann die Schüler häufig nicht richtig einordnen können, aber er bleibt stets freundlich. Seine Erlebnisse erschüttern und ziehen alle Zuhörer sofort in ihren Bann. Aus diesem entlässt er sie dann auch nicht mehr. Selten habe ich in meiner Dienstzeit als Geschichtslehrer erlebt, dass zwei Klassen fast drei Stunden einfach nur zuhören. Abba Naor schafft das. Irgendwie! Irgendwie auch sehr bewundernswert!
Aber das kostet ihn auch viel Energie. Das sieht man ihm an. In einem Gespräch vertraute er mir an, dass ihm die Vorträge von Jahr zu Jahr immer stärker belasten. Er kann die Nächte danach nicht mehr ruhig schlafen. Immer wieder kommen die Erinnerungen hoch. Die zwangsweise auferstandene Vergangenheit und das Erzählen davon zollen ihren Tribut. Er nimmt Medikamente, sie helfen ihm einzuschlafen. Er braucht nach jedem Vortrag Abstand, Pausen, zwei Vorträge hintereinander sind inzwischen nicht mehr möglich. Auch nicht am nächsten Tag. Ja, er hat sich verändert, er erzählt auch weniger aus dem KZ Auschwitz, in dem Teile seiner Familie von der SS so feige ermordet wurden. Das Leben im KZ, die Erfahrungen werden inzwischen knapper geschildert. Früher hatte er anscheinend dafür noch mehr Kraft. Die wünschen wir ihm.
Dank an Herrn Abba Naor, dass er diese Vorträge noch immer jedes Jahr auf sich nimmt. Die Reise aus Israel, das Leben im Hotel in München, die Fahrt nach Dachau, die Vorträge für die Schüler.

Wir alle waren nach dem Vortrag tief beeindruckt und werden dieses Erlebnis nie mehr vergessen.

Danke, dass wir teilnehmen durften!

Besuch der Gedenkstätte des KZs Dachau

Nach dem Zeitzeugengespräch besichtigten die beiden zehnten Klassen das Gelände des Konzentrationslagers Dachau. Die Schüler waren entsetzt von der Unmenschlichkeit des Lagerlebens und den dort verübten Verbrechen durch die SS. Der Zeitzeugenvortrag wurde durch den Rundgang durch das Lagergelände deutlich personalisiert und dadurch wurde der Rundgang noch eindrucksvoller für die Schüler.

Literatur zu Abba Naor:

Abba Naor: Ich sang für die SS. Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst. Bearbeitet von Helmut Zeller, München 2014.