Entnommen aus der PNP, 27. April 2015
70 Jahre danach: Hochachtung und Dankbarkeit
Generationen-Dialog zum Thema Kriegsende: Jugendliche erzählen von ihren Erfahrungen mit den Zeitzeugen
Deggendorf. "Sie können mich über alles fragen. Nur nicht über den Krieg." Diese Worte eines Zeitzeugen haben Saskia Karl, Isabella Wühr und ihre Freunde von der Staatlichen Wirtschaftsschule dazu gebracht, besonders viele Fragen über den Krieg zu stellen, das "Schmuddelthema der Geschichte", über Uniformen, Waffen, Panzer, Verwundungen und das Sterben. "Was ist passiert in diesem Krieg, dass die Leute immer noch nicht darüber reden können, dass sie es immer noch nicht verarbeitet haben?" Das ist eines der Themen von insgesamt sieben Deggendorfer und Mettener Schulen, die sich am Projekt "70 Jahre danach – Generationen im Dialog" des Berliner Anne-Frank-Zentrums in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv, dem Geschichtsverein und den Deggendorfer Museen beteiligt haben. Die "Geschichtsmeile" mit den Erinnerungen aus den Interviews und mit vielen Gegenständen aus der Kriegszeit ist gestern mit einem Festakt eröffnet worden, der auch das Kriegsende in Deggendorf am 27. April 1945 gewürdigt hat. So viele Menschen waren dazu in den Kapuzinerstadl gekommen, dass manche nicht einmal mehr einen Stehplatz fanden: die beteiligten Schüler und ihre Angehörigen, die Lehrer und Schulleiter, die befragten Zeitzeugen und mehrere Stadträte.
Franz Huber, am 24. März im Alter von 101 Jahren verstorben, sei es besonders wichtig gewesen, alles noch einmal zu erzählen. In Memoriam sind ihm die Wirtschaftsschülerinnen unglaublich dankbar für diese Erfahrung. Dankbarkeit und Hochachtung, erklärten sie, empfinden sie nach den Gesprächen für die Generation, die damals das alles aushalten musste.
Das Projekt hat die Schüler ein ganzes Jahr lang begleitet, berichtete Gabriel Kilian von der Mittelschule Theodor Heuss. Er hat festgestellt: "Keiner von uns kann sich vorstellen, in dieser Zeit leben zu wollen." Damals mussten die Kinder nach der Schule zu Hause viel mithelfen, nannte Jana Ziogou von der Maria-Ward-Realschule ein Beispiel außerhalb von Kriegsgeschehen, Flucht und Verfolgung. Den Mädchen hat die Geschichte vom Schuhmachermeister Alois Löffelmann aus der Pfleggasse besonders gut gefallen: Er hat für das Baby seiner schwangeren Schwester ein paar Schuhe gemacht – als Erinnerung an ihn, falls er nicht mehr aus dem Krieg heimkehrt. Die Übergabe der Schuhe stellten die Schülerinnen anschließend in der Geschichtsmeile szenisch dar.


Mit dem Krieg selbst haben sich die Wirtschaftsschüler befasst – Jugendliche aus sechs weiteren Schulen beschreiben in der Ausstellung vor allem das Leben in Deggendorf zu dieser Zeit. − Fotos: Binder

Ein Erzählcafé haben dort die Comenianer eingerichtet, berichtete Cedric von Innis, Jugendzimmer von damals und heute sind bei den Robert-Kochlern zu sehen. "Damals waren eine Puppe und ein Puppenwagen eine Sensation", weiß Hannah Ebner heute. Sie habe bei dem Projekt sehr viel gelernt und würde es jederzeit wieder machen. Die Zeitzeugen haben die Jugendlichen sehr freundlich und herzlich empfangen.


Von den schrecklichen Bombardierungen auf Berlin wissen die St.-Michaels-Gymnasiasten um Sophie Gschwendner und Johannes Buchner inzwischen zu erzählen und die Aloys-Fischer-Schüler kennen die Geschichte der Familie Wallner nun recht gut.
Für die Zeitzeugen war das Projekt eine mindestens genauso schöne Erfahrung, versicherte stellvertretend für die 54 über 75-Jährigen der frühere Deggendorfer Bürgermeister Josef Paul Bielmeier. Er wurde in der Mittelschule Theodor Heuss befragt und vor allem der langhaarige Gabriel Kilian habe sich als cleverer Bursche erwiesen, erzählte er schmunzelnd. Auch auf dem Weg zurück zum Auto seien den Jugendlichen noch Fragen eingefallen, "und ich habe alles erzählt, was mein 83-jähriges Gehirn noch gespeichert hat."

"Deggendorf ist ein wunderbares Beispiel dafür, was man erreichen kann, wenn man sich zusammentut" – ein dickes Lob von Timon Perabo vom Anne-Frank-Zentrum. In acht deutschen Städten wurde der Generationen-Dialog durchgeführt – und nirgends haben so viele Schüler und so viele Zeitzeugen mitgemacht wie in Deggendorf. Dass die Generationen einander besser verstehen, um besser miteinander leben zu können, das sei ein Ziel des Projekts. Der Dialog finde auf Augenhöhe statt, und Timon Perabo weiß: "Es tut weh, auch einmal von den nicht schönen Erinnerungen zu erzählen." Oft regen die Dialoge aber auch dazu an, über die Gegenwart nachzudenken, darüber, wo heute Menschen ausgegrenzt werden und was es bedeutet, wenn man sich blind Nationalisten oder Nationalsozialisten anschließt. Darauf wies OB Christian Moser hin, der noch einmal die Tage rund um die Kapitulation und damit um das endgültige Kriegsende in Deggendorf beschrieb. "Das Schicksal der Stadt hing damals am seidenen Faden." Auf diese Ereignisse zurückzublicken, sei für ihn als junger Mensch ebenso schwer wie für die Schüler – und erst solche Gespräche mit Zeitzeugen machen es möglich, die Geschehnisse dieser Zeit zu verstehen. Als Warnung für heutige Zeiten versteht Moser einen Satz des früheren Stadtchronisten Xaver Friedl nach dem Krieg: "Ein zweites Mal möchte ich so etwas nicht mitmachen."− kw

[Zum TV-Beitrag von Donau-TV]